Das Mitleid auf der einen Seite und das einfach auf Gleichheit bedachte Urteil auf der anderen sind, wenn sie in ein und derselben Seele bleiben, wie ein Mensch, der Gott und die Götzenbilder im selben Haus anbetet. Das Mitleid ist das Gegenteil vom Urteil, das die einfache Gerechtigkeit zur Grundlage hat. Das gänzlich gerechte Urteil schließt die gleiche Zuteilung eines ähnlichen Maßstabes für alle ein. Es läßt einem jeden zukommen, was ihm zusteht, nicht mehr; es neigt sich weder zur einen noch zur anderen Seite, unterscheidet nicht in seinem Lohn. Das Mitleid jedoch wird durch die Gnade geweckt, es neigt sich allen Geschöpfen mit derselben Herzlichkeit zu, es hütet sich davor, denen einfachhin Lohn zukommen zu lassen, die der Bestrafung würdig sind und es überschüttet ohne Maß jene, die sich des Guten als würdig erweisen.
Das Mitleid also steht auf Seiten der Gerechtigkeit, das schlechthin gleichförmige Urteil auf Seiten des Bösen [...] So wie ein Sandkorn nicht soviel wiegt wie viel Gold, so wiegt auch das ausgewogene Urteil Gottes nicht so viel wie sein Mitleid. Wie eine Hand voll Sand, die in den großen Ozean fällt, so sind die Sünden alles Fleisches im Vergleich zur Vorsehung und zum Erbarmen Gottes. Wie auch eine reichlich fließende Quelle nicht mit einer Hand Staub verschlossen werden kann, so kann auch das Mitleid des Schöpfers nicht durch die Boshaftigkeit der Geschöpfe besiegt werden. Wer während des Gebets im Groll verharrt, der ist wie ein Mensch, der ins Meer aussät und zu ernten hofft.
↧